Im Refektorium
Ein kleines Tablett mit einer Schale, aus der der Duft von Reis und gebratenem Meerschweinchenfleisch aufstieg, und einem Kännchen Tee stand noch unberührt vor Akibel. Die Michaelitin saß im Schneidersitz auf der langen Bank, die den Speisetisch entlang führte, und sah mit konzentriertem Blick an sich herunter. Ihre strahlend weißen Armbandagen waren bereits mit je einem Votivband durchwirkt, auch wenn eines davon - das zu ihrer Rechten, das ihr zugleich das liebste von allen war - bereits grau angelaufen war, die Buchstaben verwischt und mit vielen, kunstvoll gesetzten Nähren geflickt. Aber es sollte bleiben, wo es war, solange es sich noch nicht auflöste.
Akibels Blick wanderte zur Scheide ihres Schwertes. Das Votivband aus Kassel bedeckte das dunkle Holz, in dem ihr Langschwert steckte. Wo war noch Platz für das Band, das jetzt zusammengerollt neben ihrem Tablett auf dem Tisch lag? Nachdenklich sah die Michaelitin darauf herab. Ja, den letzten Auftrag hatten sie wortgetreu ausgeführt, ganz in Em Susats Sinne. Das Artefakt war wieder hier, im Himmel zu Nürnberg. Der Hof der Ketzer war dem Erdboden gleichgemacht, und kein Mitglied ihrer Schar war gestorben. Aber trotzdem hatte ein Engel in den Abgrund sehen müssen ....
Das Gesicht der Michaelitin zuckte kurz, als sie die Tränen zurückhielt, aber dass sie traurig war, das konnte man ihr immer noch ansehen. Yuliel. Ja, er war eine echte Pest gewesen, damals, in ihrer gemeinsamen Ausbildungszeit in Roma. Aber einen derart grausamen Tod, die vielen Tage, die er gelitten hatte - das hatte er nicht verdient.
Akibel seufzte traurig und ließ das nagelneue Votivband vorerst dort, wo es war. Mit zwei Fingern fasste sie in den noch warmen Reis, formte ein kleines Klümpchen und legte es neben die Schale auf das Tablett. Sie blickte einige Sekunden lang an die Decke, nach oben, in Richtung des Himmlischen Throns Gottes, und tauchte ihre Fingerspitzen kurz in den dampfenden Tee. Sie beobachtete ihre Hand, als sie sie über den Reisklumpen führte und sah den Teetropfen zu, wie sie von ihren Fingern auf den Reis fielen.
Das ist für dich, Yuliel. Gegen den Hunger und den Durst, den du so lange leiden musstest.
Dann nahm sie langsam die Stäbchen zur Hand und steckte sich selbst einen Bissen aus der Reisschale in den Mund. Die weichen Lederstreifen, die ihren Oberkörper als Lamellarpanzer umschlossen und schützten, knartzen leise, als sie ihr Gewicht verlagerte. Andächtig kauend betrachtete sie den kleinen Kleks aus Reis und Tee auf ihrem Tablett.
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